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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Feedback zu Marktverhältnissen in Thüringen



fairTV
15.12.2014, 23:16
Als Reaktion auf unsere alljährliche Musterbrief-Aktion erhielten wir auch dieses Jahr wieder zahlreiche Rückmeldungen aus dem Sendegebiet. Dabei haben wir uns erlaubt einen aktuellen Fall herauszugreifen und mit Erlaubnis des Autors den Schriftverkehr hier einem breiteren Publikum zugänglich zu machen und damit vielleicht die eine oder andere Diskussion anzustoßen.




Hallo liebe Leute,
vielen Dank für diesen Brief und nochmer vielen Dank für Eure Arbeit!!

Ich möchte Euch aber einmal kurz über die Marktverhältnisse aus Thüringen berichten.
Die MCS hat ihren Technikpool erweiter, man spricht von 15 Ausrüstungen. Daraus ergibt sich das sie so ungefähr 90% der MDR Aufträge am Tag abarbeiten kann, da die MCS im Preisranking logischerweise ganz oben steht. (ob das rechtlich einwandfrei ist sei dahingestellt) Was da für die anderen 5 Produktionsfirmen übrig bleibt, könnt ihr euch leicht ausrechnen. Ich bin seit 2000 als Assi und Kranoperator bei 4 Produktionsfirmen gelistet. Mein Auftragsvolumen ist in diesem Jahr auf 2 maximal 3 Drehtage in der Woche geschrumpft. Mir scheint es das die MCS in Thüringen den Markt bereinigen möchte, somit werde ich gründlich überlegen, ob es sinnvoll ist neue Preise zu fordern. Da ich meinen Job liebe, möchte ich nur ungern über ein Jobwechsel nachdenken. Klar könnte ich mich bei der MCS verdingen, aber ich bin nicht gewillt auf Lohsteuerkarte zu arbeiten und sie bei der Marktbereinigung zu unterstützen. Zumal ich 2008 gegen ein abhängiges Arbeitsverhältniss zur MCS geklagt und gewonnen habe, das aber nur am Rande.

Das zur Marktlage aus Thüringen. Was denkt Ihr darüber?

Viele Grüße aus Weimar, macht weiter so und eine schöne und auch ruhige Weihnachtszeit.


Hartmut "Locke" Kehr


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Lieber Hartmut,

vielen Dank für Deine Einschätzung.

Die Schwierigkeiten in Thüringen (und teilweise in den anderen Funkhäusern) sind uns bekannt, nach einer Blitz-Umfrage vor ca. 1,5 Jahren zu den Einkommen bei der MCS wissen wir auch, unter welchen beinahe sklavisch zu nennenden Bedingungen Ihr dort gezwungen seid, zu arbeiten. Denn die MCS sieht sich natürlich als das Maß aller Dinge, und der MDR im Funkhaus hat mit dem "Ranking" ja auch seine Position mehr als deutlich gemacht: "Hauptsache billig" nämlich.

Dennoch ist nach unserer Sicht auch bei Euch vorsichtige Hoffnung angebracht. Das hat mehrere Gründe.

Erst einmal hat die Sache mit den "Rankings" einigen Staub aufgewirbelt, und auch wenn noch unklar ist, ob dort das Recht verletzt wurde, so kann es sich der skandalgeplagte MDR langfristig kaum leisten, diese Sache öffentlich zu rechtfertigen. Dazu müssen wir alle nur immer wieder darauf hinweisen, dass hier die Verantwortung eines öffentlich-rechtlichen Senders für die Region in keiner Weise wahrgenommen wird (vor allem via MCS, bei der der MDR durch die Drefa Holding mit 51% beteiligt ist). Und dies zeigt bereits ein wenig Erfolg: Intendantin Prof. Karola Wille hat am Rande eines Medientreffens in Leipzig kürzlich geäußert, dass der MDR seine "Beteiligungen überprüfen" müsse. Noch nicht viel, aber immerhin etwas - und neu, auch wenn Lippenbekenntnisse leider noch keine Entscheidungen sind.
Aber da ist Druck aufgebaut worden, und wir werden versuchen, den zu erhöhen.

Weiterhin hat Thüringen eine neue Landesregierung, die im Koalitionsvertrag explizit auf unser aller schwierige Situation eingegangen ist und diese ändern möchte. „Die Koalition betrachtet den Medien- und Kreativwirtschaftsstandort Thüringen nicht nur unter medien- und wirtschaftspolitischen Aspekten, sondern auch im Hinblick auf gute Arbeits- und Erwerbsbedingungen.“ heißt es dort, und weiter: „…die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bzw. sozialen Absicherung von Kulturschaffenden und Kreativen erfordern ressortübergreifendes Handeln…" Auch das macht Hoffnung, zumal es ebenfalls ein Novum ist - und völlig ungeachtet jeglicher idiologischer Grabenkämpfe im Zusammenhang mit dem Regierungswechsel scheint die neue Regierung speziell für uns Medienschaffende eine Verbesserung zu sein. Auch hier gilt aber: "An ihren Taten sollt Ihr sie messen", also erst mal abwarten und hoffen.

Und schließlich scheint es uns endlich zu gelingen, auch in Thüringen eine funktionierende fairTV-Vertretung zu etablieren. Wir haben dort inzwischen ein sehr aktives Vereinsmitglied, mit dessen Hilfe wir möglicherweise sogar den Druck auf die MCS erhöhen und unsere Musterbriefe einsetzen können. Zu diesem Jahreswechsel wird dies aber vermutlich noch nichts, auch wenn ich da noch etwas Hoffnung habe. Stell Dir vor, eine Mehrheit der MCS-freien (ohne die es ja nicht geht) schreibt den Musterbrief und zwingt damit die MCS zu den längst fälligen Honoraranpassungen.

Leider klagt aber der Kollege auch, dass nach Jahren der Aushölung von Selbstbewußtsein nur wenige sich mehr trauen als zu sagen "Das ist aber hier alles schlecht". Verständlich, aber nicht hinzunehmen, wenn man an eine Verbesserung der Situation glauben möchte. Ich werde daher diese Mail auch in Kopie an den Thüringer Kollegen schicken und ihn bitten, mit Dir Kontakt aufzunehmen. Und vielleicht möchtest Du ja auch Mitglied bei fairTV werden, dann könntest Du Dich an seiner Seite aktiv für die Durchsetzung unserer Strategien stark machen.

Außerdem empfehle ich Dir dringend, Kontakt zu Deinen "Konkurrenten" und den Kollegen aus den anderen beiden technisch-kreativen Gewerken aufzunehmen, Kamera und Schnitt. Trefft Euch und besprecht gemeinsam das Abschicken der Musterbriefe! Versichert Euch gegenseitig, dass Ihr in dieser Sache an einem Strang zieht! Redet miteinander, das baut die Angst ab, dass es der andere dann doch heimlich billiger macht. Und vergeßt nicht: es mag ohne einen einzelnen gehen, der ist vielleicht ersetzbar - aber bereits wenn 1/3 der Leute eines Gewerkes ihre Preise anpassen (und das schriftlich mitteilen - als Selbstständiger geht das ja ganz ohne Verhandlung, ähnlich wie bei dem jährlichen Erhöhungsbrief der Stromkonzerne, das ist dann einfach gesetzt...), dann bekommen MCS & Co. ein gewaltiges Problem mit der Erfüllung ihrer Aufträge. Sie werden das vielleicht mal eine Woche hinbekommen, kaum aber länger - und dann werden sie einfach die neuen Preise akzeptieren. Hier in Leipzig war es genauso. Darauf müßt Ihr vertrauen. Und auf die GEMEINSAME Aktion!

Denn nur gemeinsam - also mit den einzelnen Fernsehschaffenden an unserer Seite - werden wir Veränderungen durchsetzen. Bitte vergiß dabei nicht: wir sind eben keine Gewerkschaft, die FÜR ihre Mitglieder verhandeln kann - wir liefern nur Ideen, Strategie und Organisation bzw. bereiten politisch den Weg, indem wir im Hintergrund viele Gespräche führen und auch hier und da investigativ recherchieren, um Missstände aufzudecken und anzuprangern. Und wir machen das alles ehrenamtlich, weshalb unsere Ressourcen deutlich begrenzt sind. Die UMSETZUNG mit Musterbrief etc. müsst Ihr alle selbst in die Hand nehmen, wir liefern nur das Werkzeug. Das allerdings halte ich für gut geschliffen.

In diesem Sinne habe eine schöne Zeit!

Und schon mal frohes Fest und guten Rutsch. Vielleicht sehen wir uns nächstes Jahr bei fairTV

Guntram Schuschke